Der Traum von der Freiheit - Die Auswanderung der Bürger/Bürgerinnen aus dem oberen Schuttertal nach Nordamerika zur Mitte des 19. Jahrhunderts

Ausstellung des Historischen Vereins Seelbach-Schuttertal im „Bahnhöfle“ Seelbach vom 22. Juni bis 5. Juli 2003.

Ansprache von Elisabeth Müllerleile, Oberursel im Taunus, zur Eröffnung am 22. Juni 2003

Meine sehr verehrte Damen und Herren,
ich spreche zu Ihnen als eine von vielen Müllerleiles, die in die Familie hineingeheiratet und dabei auch das Schuttertal kennen und lieben gelernt haben. Auch habe ich schon zwei Familientreffen der Müllerleiles in den USA hinter mir und nehme heute am zweiten im Schuttertal teil, so dass ich die Familie beiderseits des Großen Teiches recht gut kenne. Ich werte es als Zeichen besonderer Verbundenheit, dass wir heute auch sechs Verwandte aus den US-Staaten Montana und Washington unter uns haben.
Um es vorweg zu sagen, den Müllerleiles, die im 19. und 20. Jahrhundert aus Baden nach den USA auswanderten, ist es nicht schlecht ergangen. Denn sonst wären nicht so viele in jeweils verschiedenen Auswanderungswellen nachgereist. In ihren Briefen schilderten sie zum Teil begeistert, was sie in den Staaten erlebt und erreicht haben. Daraufhin kamen noch viele weitere Verwandte aus der Heimat nach.
Die Landschaften, die sie sich als neue Heimat aussuchten, erinnern oft an die alte Heimat, wenn auch das Klima im Sommer meist etwas wärmer ist als daheim und die Winter noch strenger sind.
Wir wissen auch, dass sich die Auswanderer aus dem Schuttertal über die Familiengrenzen hinweg gegenseitig bei der Bewältigung des Alltags beistanden. Soziale Sicherung für Verarmte ist in den USA erst eine Errungenschaft heutiger Zeiten.
Natürlich wissen wir, dass nicht alles Gold war, was auf den Briefen der Ausgewan-derten nach Hause glänzte. Das Einkommen der ausgewanderten Müllerleiles war verglichen mit dem, was sie zu Hause hatten, zunächst kaum höher, die Zukunftsaussichten allerdings waren weitaus glänzender. Denn aus Tagelöhnern wurden Unternehmer, die ihre Kinder zum Studieren schicken konnten, aus Nachkommen von Bauern, die zu Hause keine Aussichten auf einen eigenen Hof gehabt hätten, Landwirte mit stattlichen Farmen.
Die meisten Müllerleiles aus dem Schuttertal landeten zunächst in Minnesota rund um die Hauptstadt St. Paul. Dort leben auch heute noch die meisten, die diesen Namen tragen. Von dort aus verbreiteten sie sich überall in den Vereinigten Staaten.
Es gab auch Umwege. Einige Müllerleiles, die ihr Heil zunächst in der Batschka in Österreich-Ungarn gesucht hatten, leben heute in Nordamerika. Eine der Müllerleile-Familien verschlug es in die Schweiz und von dort nach Oregon, so dass die Nachfahren zunächst dachten, die Müllerleiles seien Schweizer. Wir haben sie im Juli letzten Jahres besucht. Ein Foto von dieser Begegnung finden Sie in der Ausstellung. In Oregon wimmelt es im Übrigen von deutschen Namen in den Telefonbüchern, an Geschäften und auf Grabsteinen.
Kurios ist, was aus dem seltenen und für Amerikaner unaussprechlichen Namen Müllerleile in den USA so alles wurde. Wir finden ihn in allen möglichen Schreibweisen und Aussprachen wieder: Muellerleile, Mullerleile, Millerleile, Millerlile, Millerline oder einfach als Miller.
Die berühmteste der amerikanischen Müllerleiles, die aus St. Louis stammende Hollywoodschauspielerin Marianne Muellerleile, hat ihren Namen trotz aller Widerstände ihrer Agenten beibehalten und auf ein Pseudonym verzichtet. Sie war die Organisatorin des allerersten Müllerleile-Treffens im Juli 1997 im Camp Courageous in Monticello im US-Staat Iowa mitten in der Kornkammer der Vereinigten Staaten. Und im Oktober desselben Jahres kam sie zum ersten deutschen Familientreffen der Müllerleiles nach Schuttertal.
Es war nicht ihr erster Besuch in der Heimat, denn die Ruinen des Hauses ihrer Vorfahren im Gründle kannte sie schon. Leider kann sie heute nicht hier sein, da sie ihren kranken Ehemann betreuen muss und außerdem in einer Fernsehserie auftritt, die ihre Anwesenheit in der Nähe der Studios erfordert.
Unter den etwa dreihundert Müllerleiles in den USA, die uns bekannt sind, finden sich Berufstätige aller Art, zum Beispiel Ärzte, Krankenschwestern, Priester, Nonnen, Landwirte, Lehrer und Soldaten. Etwa 130 haben wir in Iowa getroffen. Die Begeisterung über dieses erste Zusammentreffen war groß. Zu vielen amerikanischen Müllerleiles bestehen jetzt dauerhafte Verbindungen. Man besucht sich gegenseitig und ist nicht nur verwandt, sondern echt befreundet.
Die Müllerleiles in den USA haben sich wie die meisten deutschen Einwanderer in ihre neue Heimat integriert, also keine Ghettos gebildet und sich nicht von anderen abgeschottet. Während die ersten Auswanderer zumeist deutschstämmige Partnerinnen und Partner heirateten, mischten sich die nächsten Generationen zunächst mit Menschen anderer europäischer Herkunft, später auch mit Einwanderern aus Asien, Lateinamerika und Afrika.
Es ist bezeichnend für ihre Umtriebigkeit, dass Marianne Muellerleile auch das erste Familientreffen mit ihren Verwandten mütterlicherseits, die überwiegend irischer Abstammung sind, veranstaltete. Es unterschied sich durch seine Lebhaftigkeit und Sangesfreude offenbar etwas vom Treffen der eher bedächtigen deutschstämmigen Anverwandtschaft.
Vieles wäre noch zusagen zu den ausgewanderten Müllerleiles. Wir sind dabei, ihre Geschichte und ihre Geschichten zu erfassen und eines Tages weiter zu erzählen. Wir freuen uns, dass wir in Gerhard Finkbeiner einen so unermüdlichen Mitstreiter gefunden haben. Seine Idee war es, die Müllerleiles in diese Ausstellung mit ein zu beziehen. Deshalb sind auch jetzt bei der Eröffnung besonders viele Müllerleiles anwesend, die sich zum zweiten deutschen Müllerleile-Treffen versammelt haben. Wir können nur den anderen Familien, die Verwandte in den USA haben, zurufen: Macht es nach. Ihr findet in den USA nicht nur viele offene Türen fern der Heimat, sondern neue Freunde, zu denen ihr auch eure Kinder und Enkel unbesorgt in die Ferien und zum Studium schicken könnt.
Ich wünsche der Ausstellung breites Interesse und bedanke mich noch einmal besonders bei Gerhard Finkbeiner, beim Historischen Verein Seelbach-Schuttertal und bei der Gemeinde Seelbach für die hohe Ehre, zur Eröffnung dieser wertvollen Ausstellung zu Ihnen sprechen zu dürfen. Ihnen allen danke ich fürs Zuhören und wünsche Ihnen ein angeregtes Betrachten der Exponate und Tafeln.
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